Toxic Entanglements. A Situated Analysis of Epigenetic Knowledge Production in Environmental Toxicology
Sola dosis facit venenum – »Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei.« (Paracelsus 1538, Begründer der Toxikologie)
Das lange Zeit geltende Dogma der Toxikologie »die Dosis macht das Gift» unterliegt in den letzten Jahren einer Neuverhandlung angestoßen durch die fortlaufend neuen Erkenntnisse aus dem molekularbiologischen Feld der Epigenetik. Die Epigenetik erforscht, wie kleine chemische Veränderungen auf der DNA (epi-, griech.: »auf«) die Genaktivität nachhaltig beeinflussen können, ohne dass diese auf genetische Mutationen zurückzuführen sind. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass solche epigenetischen Veränderungen auf Umweltreize wie Toxine, Ernährung oder Stress reagieren, was zur Entwicklung neuer Forschungsansätze führte, die unter dem Begriff »Umweltepigenetik« zusammengefasst werden.
Für die Umwelttoxikologie ist es äußerst reizvoll, die Rolle der Umwelt bei der Krankheitsentstehung als epigenetische Veränderungen anzuerkennen. Toxikologische Studien untersuchen seit jeher die schädlichen Auswirkungen von Umweltgiften wie Weichmachern oder Metallen auf Organismen. Allerdings waren Wissenschaftler*innen bisher ratlos, wie sie langfristige gesundheitliche Folgen von Toxinen fernab von Mutationen erklären können. Um diese Frage zu beantworten, fokussieren sich die Forschungsanstrengung derzeit darauf, den grundlegenden Mechanismus zu verstehen, wie Toxine auf epigenetische Prozesse im Körper wirken und wie diese Krankheiten im weiteren Verlauf des Lebens verursachen können.
In meiner Dissertation möchte ich der Forschungsfrage nachgehen, was der Ansatz der Umweltepigenetik in der Umwelttoxikologie un-/sichtbar macht und mit welchen Konsequenzen. Hierfür interessiere ich mich besonders für die jüngste Verschiebung der Umwelttoxikologie hin zur Übernahme epigenetischer Ansätze und wie die Forscher*innen diese an ihre Forschungsvorhaben anpassen. Ich sehe diese Verschiebung eingebettet in den seit den 1990er Jahren laufenden Prozess der Molekularisierung der Lebenswissenschaften, wobei ich mich besonders auf die Felder der Toxikologie und Umweltepidemiologie konzentriere. Die aktuellen Bemühungen, die langfristigen Auswirkungen von Toxinen auf die Materialität des Molekularen zurückzuführen, spiegeln die Neuorganisation des Feldes hin zu einem »molekularen ‚Denkstil‘« wider (Fleck, 1979; Rose, 2007).
Ich möchte diese Verschiebung anhand des Objekts Toxizität veranschaulichen. Wie entsteht Toxizität als ein »erkennbares Objekt« (Murphy 2006) durch kontingente Momente in der Entwicklungsgeschichte der Toxikologie und Umweltepidemiologie? Auf welche Weise verändert sich Toxizität mit Blick auf die Transformation des Feldes von einer beschreibenden, dienstleistungsorientierten Wissenschaft zu einer mechanistisch denkenden Wissenschaft, die sich molekularbiologische Werkzeuge zu eigen macht? Welcher neuen Register der Evidenz bedienen sich die Wissenschaftler*innen, um Toxizität auf der molekularen Ebene sichtbar zu machen? Wo zeigen sich Spannung zur klassischen Toxikologie und Epidemiologie? Mittels Literaturanalyse, qualitativen Interviews und Beobachtungen untersuche ich, wie Forscher*innen in ihren spezifischen Forschungskontexten Toxizität denken und diese im Labor herstellen. Wie ist Toxizität »made to matter« (Murphy 2006) in der epigenetischen Forschung zu Toxinen und mit welchen Konsequenzen für die Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit?
Das Promotionsvorhaben ist eingebettet in das Projekt „Die Umweltepigenetik situiert verstehen. Eine vergleichende, akteurszentrierte Studie der Umweltepigenetik als aufstrebender Forschungsansatz in drei Forschungsfeldern„, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und von Prof. Ruth Müller geleitet wird.
Sophia Rossmann
Tel.: +49(89) 289 29220
Mail: sophia.rossmann@tum.de
Augustenstr. 46, 80333 München
Projektleitung:
Sophia Rossmann
Zeitraum:
Seit 2018
Projekttyp:
["phd"]