Die Artikulation metabolischer Erkrankungen in einer Lebenslaufperspektive
Sind hohes Übergewicht und damit einhergehende Stoffwechselerkrankungen das Ergebnis mangelnder Selbstdisziplin? Diese sowohl gesellschaftlich als auch medizinisch weit verbreitete Annahme wird wissenschaftlich zunehmend in Frage gestellt. So weisen Forschungsergebnisse darauf hin, dass die frühkindliche Entwicklung während der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren prägend für spätere Krankheitsrisiken im Erwachsenenalter sein kann. Bestimmte Umwelteinflüsse wie Über- oder Unterernährung können demnach den Körper auf eine Art und Weise „programmieren“, die ihn mitunter lebenslang anfälliger für hohes Körpergewicht und die Entwicklung metabolischer Erkrankungen machen kann. Einiges deutet sogar darauf hin, dass derartige „Programmierungseffekte“ nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch die der eigenen Kinder nachhaltig beeinflussen können, und Krankheitsrisiken somit womöglich von Generation zu Generation vererbt werden. Diese Forschungsergebnisse haben potentiell große Auswirkungen auf den Umgang mit Übergewicht und metabolischen Erkrankungen in Gesundheitspolitik, Medizin und Alltag. Sie betonen beispielsweise die Bedeutung der mütterlichen Ernährung während der Schwangerschaft für die künftige Gesundheit des Kindes, was werdende Eltern jedoch auch stark unter Druck setzen kann. Die Annahme, dass Übergewicht und begleitende Stoffwechselerkrankungen womöglich ihren Ursprung in oft zurückliegenden Entwicklungsphasen haben, könnte zudem auch zur Hinterfragung vieler gängiger gesellschaftlicher Stereotypen über Personen mit Übergewicht (etwa, dass diese „faul“ oder „unverantwortlich“ wären) führen.
In dem sozialwissenschaftlichen Forschungsprojekt „Metabolische Erkrankungen in einer Lebenslaufperspektive“ untersuche ich, wie die Entwicklungsursprünge von Adipositas und Stoffwechselerkrankungen medizinisch erforscht werden und was mögliche gesellschaftliche und politische Implikationen dieser Forschung sein könnten. Dazu führe ich Interviews mit führenden Forschern/innen aus dem Feld der sogenannten „Developmental Origins of Health and Disease“, Darüber hinaus beobachte ich Forschungspraktiken in diesem Bereich, und ich analysiere den gegenwärtigen Forschungsstand umfassend. Ich untersuche dabei, wie in unterschiedlichen Forschungsansätzen Adipositas und Begleiterkrankungen als Lebenslauferkrankungen umgedeutet werden und wie dadurch neue Formen von Verantwortlichkeit entstehen. Das Forschungsprojekt hat so zum Ziel, neue Krankheitsmodelle noch im Entstehungsprozess sozialwissenschaftlich aufzuarbeiten. Es soll dadurch auch zu einer breiteren Debatte über die gesellschaftlichen Potentiale und Herausforderungen dieses hochaktuellen medizinischen Forschungsbereiches beitragen.
Das Forschungsprojekt ist mit einem Erwin Schrödinger Postdoc-Stipendium des FWF – Der Wissenschaftsfond ausgezeichnet worden.
Projektleitung:
Dr. Michael Penkler
Zeitraum:
09.2018 – 09.2021
Projekttyp:
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